"Bist du frei?" fragt er mich. Ja klar, natürlich doch!! Warum nur... überzeugt mich meine eigene Antwort nicht? Er schaut mich nochmal fragend an. "Ich meine, bist.. du... WIRKLICH... frei?"
Die Frage schwebt im Raum, jetzt kann ich ihr nicht mehr ausweichen. Bin ich wirklich frei?
Nennen wir ihn Marcello. Ich bin schon länger auf der Suche nach einem neuen Partner, er könnte es sein. Und jetzt?
"Ich weiß es nicht" flüstert die Antwort aus mir heraus. Und meint wohl: ich bin vielleicht nicht so frei, wie ich mich vielleicht haben will und werde auch nie wieder so frei sein, wie ich war, bevor ich einigen wunderbaren Männern erlaubte, in mein Lieben zu kommen und einen Teil von ihnen für immer in meinem Herzen zu lassen. Ja, ich bin frei, aktuell bin ich Single, aber ich bin nicht frei von Liebe. Insbesondere die Verbindung zu meinem langjährigen Lebenspartner ist nach wie vor sehr stark und wenn ich ehrlich bin, will ich daran auch nichts ändern. Im Gegenteil!
Marcello möchte ein Nest bauen. Und tief in mir ahne ich auch: sein Nest ist für mich zu kleingärtnerisch mit einem Jägerzaun drumrum, der mich einengen würde. Aber ich bin verliebt und noch nicht bereit, den Traum von einem tollen Mann, der Lust hat mir ein Nest zu bauen, loszulassen.
Marcello entscheidet sich ein paar Tage später für einen Liebidus interruptus und kündigt mir den Kennenlern- und Beziehungsversuch fristlos per whats app.
Ich falle ins Loch und lande hart, doch mitten im Schmerz spüre ich gleichzeitig eine Riesenerleichterung. Nochmal am Jägerzaun vorbeigekommen.
Wie frei will ich eigentlich sein?
Danke Marcello, du hast mich mit deinem Schlußmachen aus einem Traum, der gar nicht meiner war, befreit.
Marcella ist eine gute Freundin von mir. Auch sie ist auf der Suche nach einem Partner. Wir führen tolle Gespräche, coachen und inspirieren uns gegenseitig auf diesem Weg. Eines Tages berichtet sie mir von einer Erkenntnis. Nämlich dass ihr aufgefallen sei, dass sie in ihrem Wunsch nach einer Beziehung irgendwie immer nach einer Beziehung sucht, wie sie sie schon hatte. Aber dass doch in Wirklichkeit ihr Leben gar nicht mehr so ist, wie es vor 10 oder 20 Jahren mal war. Sie sucht also nach etwas, was heute gar nicht mehr zu ihr passt.
Es ist, als ob Marcella eigentlich von mir spricht. Auch ich laufe hier noch mit meinen Jungmädchenträumen rum. Aber die bin ich ja gar nicht mehr. Ich hatte mein Nest, ein wirklich schönes. Ich habe es noch. Und ich bin flügge geworden. Wenn ich ehrlich bin, finde ich Singlesein gerade auch extrem spannend und glücklichmachend. Bin ich wirklich bereit, diese Form von Freiheit aufzugeben für eine Beziehung, wie ich sie bereits hatte? Bin ich frei, wenn ich an Träumen festhalte, die gar nicht mehr meine sind?
Zwei Ereignisse streifen meinen Weg. Diesmal im Businesskontext. Beide male setzen sich Personen in meinem Bei-Sein jeweils auf unterschiedlichste Arten in "Szene", ich werfe ihnen übertriebenen Geltungsdrang vor. Und bemerke in mir mein um Aufmerksamkeit schreiendes kleines Ego, dass mich zwar einerseits in den jeweiligen Situationen eher die bescheidene mimen lässt aber in mir doch schreit: "Schaut her, hier bin ich doch auch!! ICH, ICH, ICH!! Ich bin die wahre, die ihr huldigen solltet". Es tut weh und ich bin dankbar das zu bemerken und gebe mir einen Auftrag: "Achte auf den Geltungsdran in dir und macht er dich frei?".
Ich liebe mein kleines Ego UND ich merke, wie sehr es mich oft auch unfrei sein läßt. Ich bin meine eigene Marcella, als ich mir erlaube, auf solche Momente zu achten, wo ich kämpfe, nur um des Geltungsdrangs willen und frage mich, ob und wo ich echte Zurücknahme meiner inneren Befreiung willen üben kann.
Wie frei könnte ich wohl sein?
Und dann passiert es. Ein neuer Marcello steht am Wegesrand. Ich hab ihn schonmal gesehen, kurz nachdem der Gartenzaun-Marcello weg war. Aber damals war ich nicht frei, ich habe ihn vorbeiziehen lassen.
Und jetzt steht er wieder da. Und mehr als dass ich weiß, was geschieht, passiert etwas in mir. Etwas wunderbares. Marcello nimmt mich an der Hand und öffnet mir die Tür zu seinem Leben. Ein Leben, das mir manchmal erscheint, wie ein Leben aus tausendundeiner Nacht, so anders und fremd ist es. Marcello sagt das nicht so klar, aber ich spüre die Einladung:
"Ich lege dir meine Welt zu Füßen. Ich werde dir die Huldigung geben, die du verdienst. Nicht mehr. Und auch nicht weniger. Ich zeige dir Pfade, die dir so fremd erscheinen, dass sie dir große Angst machen werden. Aber du kannst dir sicher sein, meine starke Hand wird dich sicher führen. Ich bin auch bereit, mit dir deinen Pfaden zu folgen, die, die mir fremd sind und durch die nur du mich mit deiner starken Hand führen kannst. Und zwischendurch werde ich mit anderen Menschen andere Pfade begehen, dort neue Welten entdecken und wenn ich dann wieder bei dir bin, wird das uns alle bereichern. Magst du mit mir kommen?" sagt er und zieht mich sanft durch die Tür auf der das Wort "Polyamorie" steht.
Noch an der Schwelle spüre ich einen kleinen kurzen Widerstand. Ich spreche mit meinem kleinen Ego. Es hat natürlich noch mehr Angst als ich, vor der fehlenden Sicherheit und auch vor der Verurteilung anderer, die das nach sich ziehen wird, aber es hüpft auch vor Freude und fragt, wann das Abenteuer endlich los geht. Es will genauso gerne frei und genausogerne verbunden sein, wie ich. Ich bekomme mein Nest, nur anders. War das nicht genau das, was ich wollte?
Ich denke an all die Marcellos und Marcellas, nenne mich selbst Marcella und hebe den Fuß in die Luft und folge Marcello über die Schwelle.
Ich bin frei, neue Erfahrungen zu machen.
Text: Susanne Große-Venhaus, www.liebens-lust.de
Bild: pixabay
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