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  • AutorenbildSusi

Orgas-Muss?

Ein Orgasmus gilt als DER Höhepunkt des Liebesspiels. Alle wollen ihn. Nicht alle haben ihn. Manche faken ihn. Manche jagen einen dem anderen hinterher. Andere haben noch nie einen erlebt.


Orgas-Muss? Und wieder auf der Suche nach Leistung? Wirklich?

So wuchsen wir auf. Irgendwo zwischen verklemmter Tradition von "Männer (und scheinbar nur Männer) wollen immer und Frauen schützen Migräne vor" und 68er-wer-zweimal-mit-demselben-pennt-Ideen.

Jugendliche, ein wenig verträumt, nicht nur, aber auch von den Teenager-Storys der jeweiligen Zeit. Waren es Romane, Filme, groß-orgastische Schilderungen der Freunde. "Aufgeklärt" haben uns vor allem von Dr. Sommer und co, die nie das Vergnügen hatten, uns kennen zu lernen.

Wir "wußten", wie das geht, lange bevor wir wußten, wie das geht.

Wir (die vor You-Porn-Generation) hatten Filme gesehen, mit Kameras, die im entscheidenden Moment in den Kamin schwenkten, nur um gleich danach auf glücklich verschwitzt-erschöpfte Leiber zu schwenken. Heute bei You-Porn entfällt der Schwenk in den Kamin und dennoch bleibt sooo vieles ungezeigt.

Eins war klar, was immer da geschehen war, es war ein Feuerwerk, bombastisch, eine Explosion der Gefühle. Das ultimative Ziel eines jeden Liebesspiels. Etwas, was man erreichen MUSS, für sich selbst und für den Partner, einen Orgas-muss eben.

Wir machten unsere ersten Erfahrungen in wilder Erwartung eines solchen Höhepunkts, einer solchen Explosion.

Die Wirklichkeit war zuweilen traumatisch. Oder aber schön und ernüchternd. Es gefiel uns vielleicht und es hielt dem nicht wirklich stand, was wir glaubten, dass beim Schwenk in den Kamin passiert. Oder es hielt dem stand und doch blieb da ein schales Gefühl.

Stimmte etwas mit uns nicht? Wir wagten es nicht, darüber zu sprechen, schon gar nicht mit unseren Freunden. Nicht wirklich. Wir sprachen sehr wohl. Wir waren die aufgeklärte Generation. Sex war kein Tabu mehr. Und doch war es immer noch ein Tabu. Bis heute.

Wir waren allein damit. Sind es bis heute. Viele von uns schämen sich. Für unsere Geilheit, für unsere Lustlosigkeit, dafür, dass wir zuviel, zuwenig oder unbefriedigenden Sex haben. Wir schämten uns. Für was auch immer.

Wir schämten uns. Und schämten uns dafür, dass uns schämten.

Der Orgasmus wird zum großen Muss. Nichterfüllung bedeutet Versagen.

Damals waren wir jung, wir wußten es nicht besser. Manche von uns begannen zu leiden, tun es bis heute.

Wir wissen nichts und doch glauben wir zu wissen: es muß an uns liegen.

Schwenk in den Kamin. Wir sind nun erwachsen, haben einen Teil der Scham abgelegt und sich mit dem Rest arrangiert, das Leben beschert uns auch andere "Orgasmen", was für uns z.B. heißt: Erfolgserlebnisse Im Job, als "Wohltäter"/Helfer, als Eltern, als Wasauchimmer. All das ebenfalls Form von "Orgasmen", teilweies leider mit sehr kurzer Halbwertzeit.

Und doch bleibt diese Sehnsucht. Nach mehr. Nach.. Ja nach was eigentlich?

Wir brauchen die Antwort nicht zu wissen. Das Leben zeigt uns den Weg. Türen öffnen sich, die wir kaum oder nur mit großem Herzklopfen durchschreiten können. Wir können unsere Sinne entdecken. Wie nährend alles ist, was unsere Sinne berührt. Wieviel wunderbare Zeit wir beim Liebesspiel förmlich verpassen, wenn wir es zielfixiert auf diesen Höhepunkt, den Orgas-Muss machen.

Es gibt viel zu erleben, zu lesen, hören, lernen. Paolo Coelho z.B. macht sich im gleichnamigen Roman darüber Gedanken, warum ein Akt, der rein statistisch nur etwa "11 Minuten" dauert (der Orgasmus nur der kleinste Teil davon) uns alle so durchdrehen läßt. Ggf. erfahren wir, dass es so etwas wie slow sex gibt, wo der Orgasmus auf einmal nicht nur nicht mehr angestrebt, sondern im Gegenteil wo alles auf reines Erleben jenseits der Orgasmus angelegt ist. Wir lesen von weiblicher Ejakulation und männlichen Orgasmen ohne ebendiese. Tolle neue Sichtweisen. Viel Potential zum Entdecken. Und viel Potential zur Öffnung und auch zur weitern Verwirrung.

Doch: wer legt eigentlich hier die Regeln fest? Und warum. Geht es nicht einfach nur um Genießen? Kommt Orgas-Muss in Wirklichkeit von Orgas-Darf? Und ist kein Höhepunkt, sondern einfach ein Teil eines wunderbar kreativ-sinnlichen Zusammenseins?

Gibt es nicht zwischenmenschliche Momente, die so viel intimer sind, auch wenn nicht mal ein Händedruck stattfindet?

Und gibt es nicht Sex, der wie-ein-langer-ruhiger-Fluss, deutich mehr länger als 11 MInuten, zutiefst orgastisch ist, vom ersten Blick bis zum sinnlichen nachspüren?

Gibt es nicht tausende Formen von Orgasmen, die unser Sinne tagtäglich erleben, beim bewußten Erleben eines schönen Duftes, beim ersten Bissen in ein köstliches Mahl, beim Lachen eine Kindes. Wenn ein Regentropfen unsere Haut berührt und der Wind uns das Haar streichelt. Wenn uns das Herz aufgeht und auf einmal die Welt still steht und wir nichts mehr hören, nur das Pochen unseres Herzens.

Und eines Tages kommen wir vielleicht vom Orgas-Muss über den Orgas-Darf zum Orgas-LassLos. Und lassen los.

Wir schwenken wieder - wohin bleibt des Lesers Phantasie überlassen.

Foto: Ian Schneider, unsplash

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