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  • AutorenbildSusi

*Ich* - Einzig

Es ist eine Weile her. Vielleicht fast ein Jahr, vielleicht weniger. So genau weiß ich das nicht mehr. Und es spielt auch keine Rolle. Überhaupt spielt Zeit in dieser Geschichte keine Rolle, auch wenn sie eine sehr große Rolle spielt.

Also zurück in der Zeit.


*Wir* sitzen in der Pommesbude und quatschen so. Wir sind jetzt lange genug zusammen, um uns zu trauen, uns unsere Liebe zu gestehen UND dass wir miteinander "gehen". (Was ja in der heutigen Zeit oft nicht so genannt werden darf, auch wenn man es längst tut. Warum eigentlich nicht?).


*Ich* habe es nicht immer leicht damit, dass dieser Mann, mit dem ich also zusammen bin, erstens polyamor lebt und zweitens das auch noch egalitär, d.h. ohne Priorisierung. In meinem Denken bin ich "nur" eine von vielen.


Nochmal einige Zeit davor habe ich ihm mal gestanden, dass ich mir wünsche, eines Tages doch wenigstens seine Nummer Eins sein zu dürfen. Woraufhin er sagte, das sei kein Problem, schließlich sei jede Frau seine Nummer 1.


Ich glaube, an dieser Stelle muß ich nichts darüber sagen, dass mich DAS natürlich keinesfalls besänftigt hat. Innerer Aufruhr, Ego-Revolte pur.


Nun sitzen wir also Wochen später hier in der Pommesbude.


Er sagt irgendwas und beginnt mit: "Bei *uns* am Wald. *Er* wohnt am Wald. Nicht *ich*. Es fällt ihm selbst auf, er lacht, erklärt, dass er mit *uns* tatsächlich mich und ihn meinte, obwohl doch nur er dort wohnt.


In der damaligen Zukunft werde ich tatsächlich zeitweise dort wohnen. Das wissen wir aber jetzt noch nicht.


"Bei *uns*..." hat er also gesagt und *mich* gemeint. Nicht die anderen Frauen, sondern *mich*. Mein Ego hüpft vor Freude.


Doch dann kommt die Erinnerung an seinen Satz: "Jede Frau ist meine Nummer 1!" 'Na, Klasse (grrr)' raunt es bitter in mir.


Ich bemerke mein Geheimnis. Natürlich will ich immer noch heimlich seine einzige Nummer 1 sein. Und noch heimlicher die Einzige überhaupt.

Aber DAS glaube ich nicht sagen, ja nichtmal denken zu dürfen.

Schließlich hat er mir schon vor der ersten Sekunde gesagt, dass er polyamor leben will und ich habe mich darauf eingelassen.

Mir fällt ein, dass es in der Polyamorie nur oberflächlich um

"Viel-Partnerei" geht. In Wirklichkeit geht es wohl noch mehr um "Wenig-Heimlichtuerei". Um gnadenlose Ehrlichkeit.


Ich habe also gerade sowas wie eine heimliche Affäre. Mit dem Wunsch die Einzige zu sein. Also wird es Zeit, ihm zu sagen, dass ich diese heimliche Liebe zu diesem Gedanken noch in mir trage.


Ich sage es ihm. Er hört es. Ich sehe es. Ich spüre, da ist kein Widerstand. Nichts. Und es ist durchaus so, dass er manchmal mit Widerstand reagiert, wenn ich Exklusivitäts- Wünsche äußere. Aber dieses Mal spüre ich, ist da nur Offenheit. Es ist fast so, als verstehe er meinen Wunsch nicht nur, sondern hege den gleichen. Nur anders als ich. Und dann sagt er etwas, das für mich wunderschön ist. Er findet so poetische Worte für etwas, was der Verstand nicht verstehen kann. Nur das Herz. Vielleicht ist das der Grund, warum weder er noch ich das Gesagte danach genau erinnern.


Auf jeden Fall ist der Tenor der Aussage ein Pardoxum, nämlich, dass es durchaus möglich ist, dass es eines Tages so sein könnte, dass es sich so anfühlt, als sei ich die Einzige. Auch wenn ich es de facto nicht bin, selbst dann nicht sein würde, hätte er gerade mal keine andere gleichzeitige Beziehung als die mit mir.


Ja, ich weiß, es wird jetzt wieder kompliziert. Wobei, nennen wir es lieber komplex. Es ist komplex und es ist einfach. Kompliziert macht es nur das Denken.


Also zurück in die Pommesbude. Er sagt diesen paradoxen Satz. Die Worte verfliegen schneller, als sie ausgesprochen wurden und etwas landet in meinem Herzen. Eine Art Gewissheit. Eine Gewissheit von der ich nichts weiß. Und auch nichts verstehe. Wie könnte ich?


Mit dieser Szene verlassen wir die Pommesbude von damals.

Zeit ist ins Land gegangen, seitdem. Es haben sich Dinge verändert. Dinge, die leichter zu erzählen, da irgendwie *meßbarer* sind. Unsere Beziehung ist beständig geworden. Wir wohnen tatsächlich zeitweise zusammen. Wir erleben viel gemeinsam, manchmal auch mit dem erweiterten Polykül (seinen Beziehungsmenschen mit deren Beziehungsmenschen). Er bezeichnet mich inzwischen als eine seiner "Primärbeziehungen" (und meinem Ego schwillt ein wenig der Kamm). Ich habe meinen damaligen heimliches Wunsch die Einzige zu sein nicht erreicht, aber man könnte meinen, ich bin ihm näher gekommen.


Dann sind *wir* im Urlaub. *Wir* haben uns verliebt. In die sächsische Schweiz. Erst *er und sie*, dann *er und sie*, dann *er und ich*, dann *ich und Familie*. *Wir*... ein umfasssendes *Wir*.


*Wir* also du lesender Mensch und ich sind jetzt in der aktuellen Gegenwart angekommen.


Ich nehme dieses *Wir* mehr in mein Herz. Gerade heimgekommen von der letzten Reise will ich ihn sehen und treffe auf *uns*, ihn und sie und mich. *Wir* gehen auf eine Party polyamoröser Leute. Flirten voreinander bekannt mit anderen. Konkret direkt an benachbarten Tischen. Haben eine schöne Zeit. Genießen die Verbindung zu anderen.

Am nächsten Tag sind wir irgendwann allein. Wir chillen, spüren nach. Hängen kuschelig ab. Vereinigen uns. Reden. Dösen. Fühlen. Er sagt: "Das war so schön gestern abend, als ich da rumgeknutscht habe und du warst am Nachbartisch. Ich habe mich so verbunden mit dir gefühlt." Mein Ego springt sofort an, will Fragen stellen, Fragen mit dem Ziel des Vergleichs, Fragen die mich dem Nummer 1 sein näher bringen. Ich atme hinein. Warte, bis es sich beruhigt und fühle. Ich fühle. Und fühle.


Und auf einmal fühle ich *es*. Das, was er damals gesagt hat, auch wenn ich die Worte nicht mehr weiß, weil sie sich doch gleich in meinem Herzen aufgelöst haben. Ich fühle, dass ich die Einzige bin. Die All-einige Ein-zige.


Nicht, weil es keine anderen in unseren Herzen gäbe. Sondern weil ich es in diesem Moment bin. Ich spüre die Liebe zwischen uns. Wie ein großer pulsierender Ball, durchzogen mit feinen Äderchen aus Licht und Liebe. Und jedes dieser Äderchen kommt irgendwoher, aus dem wie wir sind und wen wir lieben. Dort gibt es Äderchen, die sind durch andere Beziehungsmenschen gespeist. *Ich* habe mit diesen Äderchen nichts zu tun. Und doch habe ich Alles damit zu tun, weil diese Äderchen sind Bestandteil seiner Liebe zu mir und meiner Liebe zu ihm. Es ist so klar.


Wir alle werden doch tagtäglich geprägt durch unsere Erlebnisse und unsere Resonanzen mit anderen Menschen. Das ist es, was uns ausmacht. Was ihn ausmacht, ist auch seine Liebe zu anderen Frauen und was mich ausmacht, ist auch mein Interesse an anderen Männern.


Aber jetzt, wo er und ich hier liegen, bin ich Einzig.

Nicht Artig. Aber Einzig-Artig. Weil unsere Liebe Einzigartig ist. Diese Liebe, die er und ich teilen, die teilt er mit keiner der anderen. Wie auch? Mit denen teilt er eine andere Form der Liebe. Und wenn sie auch so einen Liebesball zwischen sich haben, dann bin ich eins der Äderchen in diesem Ball. Nicht mehr und nicht weniger.


Viele Menschen, die sich entscheiden monogam zu lieben, lieben in Wirklichkeit seriell monoamor. D.h. sie haben zu jeder Zeit nur einen Menschen, mit dem sie gehen. Und sie haben andere Menschen, mit denen sie in der Vergangenheit gingen. Und vielleicht welche, mit denen sie in der Zukunft zusammen sein werden.


Auch sie haben diesen Liebesball, der gespeist ist durch Äderchen, durch die vergangene und vielleicht sogar künftige Partner fließen (wie gesagt, spielt Zeit nicht wirklich eine Rolle, auch wenn sie eine spielt). Manche wollen sich abschneiden von ihren vergangenen Lieben. Sie schlecht machen im Nachhinein. Außer der momentanen Verletzung: warum eigentlich? Sie wollen sich auch abschneiden aus der evtl. Anziehung durch andere. Außer der Angst zu verletzen: warum eigentlich?


Aus Angst vor dem Allumfassenden Einzig Sein vielleicht?

Polyamore Menschen sind nicht anders. Der Unterschied ist nur die Zeit. Sie lieben gleichzeitig. Das ist nicht besser oder schlechter. Das ist. Einfach.


Und ich bin Einzig. Sowieso. Die Einzige für mich.

Und vielleicht manchmal auch für ihn.

Die Einzige, die so ist, wie ich.

Wie befreiend.



Bild: Darius Bashar, unsplash

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