Ich war 30 Jahre lang in einer monogamen Beziehung. Ich habe meinen Mann sehr geliebt und liebe ihn immer noch. Dennoch habe ich mich auch immer mal wieder fremdverliebt. Mal mehr zum Spiel, mal intensiver. Dann war es manchmal schwer. Dennoch: bis auf wenige Male fremdknutschen blieb ich treu. Fremdgehen war keine Option.
Die Jahre gingen ins Land. Wir veränderten uns. Die Liebe blieb, aber im Alltag lebten wir immer mehr nebeneinander her. Und dann nach fast 30 Jahren stand da wieder ein Mann vor mir und berührte nicht nur mein Herz. Ja, ich bin fremdgegangen. Endlich fühlte ich mich wieder lebendig. Endlich passierte mal wieder etwas Neues in meinem Leben. Endlich jemand, mit dem ich andere Gesprächsthemen hatte und Dinge unternehmen konnte, die mit meinem Mann nicht mehr möglich schienen.
In einer Welt, die die Monogamie zur Norm erhebt, hieß das Stress und Schmerz auf allen Seiten. Die Affäre war schnell vorbei. Die Sehnsucht blieb. Wir haben es dann eine Zeitlang mit einer offenen Beziehung versucht. Aber wir waren zu sehr gefangen in unseren alten Mustern. Das Gefühl, oder sollte ich eher sagen, der Gedanke von "fremdgehen" und die damit verbundene Schmach saß zu tief. Wir wußten es nicht anders. Und wir fanden keinen Weg. Und so kam es schließlich zur Trennung.
Ich war dann ein paar Jahre Single und habe mich in Singlekreisen rumgetrieben. Allerorten irgendwie immer noch die Hoffnung auf the One and Only, eine neue monoamore Liebe, die alles erfüllt, alles heilt.
Ja, klar, wir waren schon klug, wir wußten, Mr. bzw. Mrs. Right gibt es nicht, ein paar Ecken und Kanten dürfen und sollen schon sein, aber bitte die Richtigen. Unglaublich hohe Ansprüche an diese künftige Beziehungsperson. Scheitern geradezu vorprogrammiert.
Obwohl mir inzwischen auch mal der Begriff *polyamor* begegnet war und von dort so etwas wie eine verbotene, heimliche Faszination ausging, war für mich doch klar: das ist nichts für mich. Das sind alles Leute, die wollen sich nur nicht festlegen, die machen es sich leicht bzw. ihren Liebespartner/innen schwer. Irgendwie verwerflich das Ganze. Besser nicht hingucken. Ich fand dann noch ein paar Exemplare, die das genau so lebten, wie ich glaubte, dass das falsch sei und damit blieb klar: Neee, nix für mich!!
Und dann steht da dieser Mann vor mir. Erklärt mir er ist polyamor und erobert mein Herz im Sturm. Nein, nicht, obwohl er polyamor lebt, auch nicht, weil er polyamor lebt, sondern weil er ist, wie er ist. Ihn in die Wüste zu schicken, nur weil er eine andere Vorstellung von Beziehungskonstrukten hat, als ich, das wäre ein Verbrechen gewesen, an mir und meiner Seele. Also bin ich dem gefolgt, wohin das Leben mich getragen hat.
Und nun stehe ich da, mit meinen alten Normen, mit allem, was ich gelernt habe, angefangen von Aschenputtel über Harry and Sally, über das Monogamie-Monopol, das sich sogar am Kartellamt vorbeigeschmuggelt hat. Und natürlich ist das nicht leicht. Ich werde konfrontiert mit Gefühlen, die ich lieber nicht fühlen würde, genährt durch Generationen von Glaubenssätzen, wie Liebe zu sein hat und wie nicht. Mein Ego rebelliert. Und Angst hab ich auch. Von meiner monogamen Umwelt werde ich kritisch beäugt. Oder aber neugierig ausgefragt.
Auf der anderen Seite kommen immer mehr Menschen auf mich zu, lesen meine Storys und sind fasziniert. Menschen, die schon polyamor leben, aber dann doch mit Eifersucht konfrontiert werden, Menschen die sich gezwungen sehen, eine Art Doppelleben zu führen, weil die Gesellschaft Mehrfachbeziehungen nicht anerkennt. Was, wenn der Chef davon erführe oder die Lehrer der Kinder?
Dann kommen monoamor lebende Menschen, die sich fremdverliebt haben und nicht wissen, wie damit umgehen, da sie auch den Partner noch lieben, aber nicht verletzen wollen.
Und es kommen monoamore Menschen, die widerum mit einem Partner, einer Partnerin sind, der/die "fremd-" oder on-, off- geht, weil es da eben noch mindestens eine dritte Person gibt.
Und manchmal ist es auch nur der Traum von dieser dritten Person, die Lust und Fantasien auf fremde Haut.
Ich weiß nicht, ob offene oder polyamore Beziehungen eine Lösung darstellen, ich weiß nur, dass all diese Menschen leiden, wenn sie das unterdrücken müssen, was in ihnen ist.
Ich habe einen Wunsch: eine Gesellschaft, in der Beziehung frei ist. In der wir angstfrei leben können, was ist. In der wir uns trauen, uns zu zeigen, mit dem was in uns ist. Lust auf andere, ebenso wie Eifersucht oder Verlustangst, der wir begegnen. Der Wunsch nach Sicherheit und gleichzeitig der Verzweiflung, weil wir ja doch wissen, dass wir nie sicher sein können, wie auch? Da hilft auch kein noch so romantischer auf immer und ewig Liebesschwur.
Eine Welt, in der vielleicht sogar alle Begrifflichkeiten zur Definition einer Beziehung ob nun mono oder poly oder offen oder anarchistisch oder sonstwas, gar nicht mehr nötig sein müssen, weil Liebe. Einfach. Ist.
Und wenn ich heute drei Menschen liebe und mein Partner ist nur mit mir und morgen ist es umgekehrt. Und dann wieder bin ich nur mit einem allein und komme nicht mal in meinen Träumen auf die Idee, jemals wieder jemand anders lieben zu können und am nächsten Tag lacht mich jemand an und es ist um mich geschehen. Oder ich entscheide mich tatsächlich, dass ich in einer Beziehung nur monogam sein will. Aber dann ist es eine Entscheidung, die ich bewußt treffe, wohl wissend, dass sich meine Meinung oder die meines Partners ändern könnte. Wie könnte eine Welt sein, in der Liebespaare über all diese Dinge sprechen können? In der all das möglich wäre und wir die Tools haben, um dies auch leben zu können. Weil diese Offenheit bedeutet auch immer Konflikt- und Verletzungspotential. Eine Welt, wo wir immer weniger unter den Teppich kehren und uns stattdessen auseinander setzen, mit unseren Bedürfnissen, Hoffnungen, Wünschen und Gefühlen.
Die Frage ist nicht,
ob man mehr als einen Menschen lieben kann,
die Frage ist,
wie?
Fotos: Armin Dörr (ich), pixabay (Muscheln)
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